Neue Ideen für das Restaurant „Zur Eisenbahn“

21.07.2019, Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN), Enrico Bellin

Konzerte in Groß Kreutz

Seit 140 Jahren gibt es in Groß Kreutz das Restaurant Zur Eisenbahn. Gefeiert wird in dessen Saal nur noch selten, Abende mit Promi-Konzerten sollen das ändern.

Gross Kreutz – Es war die hausgemachte Roulade mit Rotkohl. Für die war Henry Mertens in das Groß Kreutzer Restaurant Zur Eisenbahn gekommen, als er nach einem Besuch bei seinem Freund Björn Gripinski auf den nächsten Zug warten musste. Während des Essens kam er im Frühsommer 2018 mit Gaststättenbesitzerin Renate Lange ins Gespräch, schließlich schloss sie ihm den großen Saal der 140 Jahre alten Gaststätte auf. „Als ich das Licht und die Größe des Saals gesehen habe, hat es gleich gerockt“, so der Musiker und Mediendesigner Mertens am Freitag beim Gespräch mit den PNN. Gemeinsam mit dem Ausstellungsgestalter Gripinski und der Schauspielerin und Regisseurin Anja Panse wollte er dem Raum wieder Leben einhauchen. So kam die Idee zur Veranstaltungsreihe „Glanz der Provinz“, die am 24. August starten soll.

Dreigeteilte Abende
„Wir wollen das Potential der Groß Kreutzer heben, sie sollen Teilnehmer und Zuschauer sein“, erklärt die Potsdamerin Panse. So sind die Abende dreigeteilt aufgebaut: Zuerst gibt es eine Open Stage, bei der jeder aus der Region sein Können zeigen kann – egal ob mit Gesang, einer Lesung oder Tänzen. Dann kommen bekannte Künstler der Region auf die Bühne. Bei der Premiere werden etwa die in Berlin aufgewachsene Katrin Askan und der Kleinmachnower Martin Ahrends aus ihren Büchern lesen. Die Schauspielerin Alina Wolff vom Potsdamer Hans Otto Theater wird rappen, ihr Kollege Guido Lambrecht sich im Tango beweisen. Aktionskünstler Sebastian David aus dem Hohen Fläming gibt einen Gaukler. Anschließend rundet ein Konzert der Band Bobo und Herzfeld den Abend ab. Für den zweiten Termin am 22. November hat bereits Rainald Grebe zugesagt.

Grebe und Panse standen bereits gemeinsam auf Theaterbühnen. So sei es nicht schwer gewesen, den bekannten Musiker für den Auftritt vor maximal 200 Menschen in Groß Kreutz zu begeistern. „Wir wollen eine Art Salonabend etablieren, die Leute sollen sich hier einfach gut unterhalten“, so Björn Gripinski. Und das soll sich auch ein breites Publikum leisten können: Plätze am Stehtisch kosten 14 Euro, Sitzplätze sind für 18 Euro zu haben. Die Karten gibt es im Internet oder in der Groß Kreutzer Postfiliale. Möglich sind diese Preise durch Fördermittel: 10.000 Euro hat das Land zur Verfügung gestellt, 5000 Euro der Landkreis. Um die Veranstaltungsreihe langfristig zu etablieren, werden Sponsoren gesucht.

Urenkelin des Erbauers noch aktiv
Anja Panse und Henry Mertens, der in der Altmark wohnt, werden die Abende moderieren. Mertens wird auch selbst singen, gerade lernt er noch sein neu erarbeitetes Programm mit Liedern von Gerhard Gundermann auswendig. Und die Organisatoren wollen auch Renate Lange auf die Bühne holen: Die 69-Jährige betreibt die Gaststätte bereits seit 1982. Ihr Urgroßvater Albert Kabler hatte das Restaurant 1879 erbaut. Mit dem einzigen großen Saal des Ortes wurde es schnell zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Auch der Karnevalsverein hat sich vor fast 60 Jahren im Restaurant gegründet, noch immer feiern die Narren hier. Mit 14 Jahren hat Renate Lange ihre erste Büttenrede vor mehreren Hundert Leuten gehalten. Vater und Bruder waren dagegen, nur die Mutter hat sie unterstützt. Als sie auf die Bühne ging, hätten Vater und Bruder sich demonstrativ nach nebenan verkrochen. „Aber als die ersten Lacher kamen, sind sie dann doch wieder in den Saal gekommen“, erinnert sich Lange. Bis zur Übernahme des Restaurants stand sie jedes Jahr in der Bütt.

Bis zur Übernahme gab es aber einige Hürden: 1959 wurde ihrem Vater Hans Schmidt die Konzession entzogen. Er musste sein Haus an die Konsumgenossenschaft zwangsverpachten und führte die Gaststätte dann als Angestellter. 1980 übernahm Renate Lange mit ihrem Mann, der jedoch ein Jahr später starb. Die Genossenschaft wollte aber, dass ein Mann die Geschäfte führt. „Du bist nicht in der Partei und nur eine Frau“, sei ihr gesagt worden. Sie begann zu kämpfen, beantragte selbst einen Gewerbeschein, machte einen Kursus und erhielt den „Nachweis als sozialistischer Leiter“. „Da gab es nur Rotlichtbestrahlung“, so Lange. Nach einem Jahr hatte sie den Gewerbeschein und konnte die Familiengaststätte fortführen. Es sind solche Anekdoten, mit denen die resolute Frau beim „Glanz der Provinz“ glänzen soll.


„Gesunde Skepsis der Groß Kreutzer“
Nach dem Fall der Mauer wurde es ruhiger im Restaurant und im Ballsaal. Die Zahl der Betriebsfeiern nahm ab. Auch Disco für die Jugendlichen der benachbarten Agrarschule gab es nicht mehr, Berlin war schließlich näher herangerückt. Heute gibt es neben dem Karneval noch einige Familienfeiern, regulär geöffnet ist das Restaurant nur noch freitags bis sonntags. Mehr schaffe sie nicht mehr, sagt Lange, an einen Verkauf habe sie bisher aber noch nicht gedacht. Noch mache die Arbeit schließlich Spaß. Deshalb glauben auch die Organisatoren von „Glanz der Provinz“, dass die Veranstaltung sich im ältesten Restaurant des Ortes etablieren kann. Es gibt zwar eine „gesunde Skepsis der Groß Kreutzer“ allem Neuen gegenüber, so Björn Gripinski, der mit seiner Agentur im Ort sitzt. Doch der örtliche Kulturförderverein mache Werbung, auch beim Verteilen von Plakaten seien die Groß Kreutzer schon froh gewesen, dass mal wieder was im Ort passiere. Und auch auf Gäste von außerhalb hoffen die Organisatoren: Schließlich läuft man zum Bahnhof nur fünf Minuten, der Zug braucht 17 Minuten zum Potsdamer Hauptbahnhof, und auch nach Berlin ist es nicht weit.

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